Nein, es ist kein klar formuliertes Ziel von mir: Ich habe mir nicht vorgenommen, von jedem „großen“ Autor ein Werk gelesen zu haben. Aber von dem ein oder anderen möchte ich das schon, da besteht eine gewisse Neugier in mir. Joseph Conrad hatte ich hier schon mal erwähnt, den ein oder anderen Klassiker der Weltliteratur auch. Katz und Maus von G. Grass habe ich durch und so weiter und so fort. Doch es gibt so viele namenhafte Autoren, so viele Bücher von denen. Nehmen wir mal Thomas Mann.

Laut Wikipedia ist Thomas Mann „einer der bedeutendsten Erzähler des 20. Jahrhunderts.“ Sowas bleibt bei mir hängen, da komme ich kaum an vorbei. So kam es, dass mir vor langer Zeit „Der Zauberberg“ als E-Book in den Schoß fiel. Ich packte es mir in die Dropbox und damit aufs iPhone und nahm mir vor, dass immer mal zwischendurch zu lesen, beim Warten auf den Bus, in der Bahn etc. Das klappt auch grundsätzlich ganz gut. Manchmal muss ich mich etwas zwingen, aber ab und zu sind die Kapitel so „spannend“, dass ich kaum aufhören kann. Und das geht jetzt echt schon über einen seeehr langen Zeitraum. Ganz bewusst vermeide ich weitere Informationen zu diesem Roman, um mich nicht selbst zu beeinflussen. Ich weiss nicht, wie viele Seiten es gibt (alle E-Books sind gleich dick) und ich will auch sonst keine Teaser über die Handlung wahrnehmen (müssen). Der grundsätzliche Rahmen wird eh schnell klar: Hans Castorp besucht seinen Vetter in einem Sanatorium und bleibt dort länger als vorgesehen.
Mit dem Lese-Verlauf werden einem die Personen natürlich vertraut und Thomas Mann ist wirklich ein guter Erzähler. Man kann sich alles relevante sehr gut vorstellen und kleinste Nebensächlichkeiten werden interessant hervorgehoben und so bedeutsam. Ein zentrales Thema ist die (vermeindlich) verborgene Zuneigung Castorps zu Madame Chauchat. Und dann kommt das Karnevalsfest und Castorp ist recht angetrunken und er traut sich, die Angebetete anzusprechen. Und sie antwortet sogar. Und es folgt eine ausführliche Unterhaltung. Auf französisch! Ohne jede Übersetzung! Zwischendurch werden mal deutsche Sätze eingeworfen, aber seitenlang wird plötzlich französisch parliert. Natürlich verstehe ich noch so eben Sätze wie „Eh bien, la fête de Carnaval est finie“, aber das war es dann auch schon fast. Gehen Autor, Lektor und Verlag wirklich davon aus, dass man da ja wohl mithalten kann? Ja, auch schon vorher gab es mal französische oder italienische Sätze, aber aus dem Kontext war eigentlich immer Verständnis da. Hier nicht.

Nein, ich kann leider weder französisch sprechen noch lesen. Und aber diese Stelle im Buch ist sehr relevant! Was hier gesprochen wird, bestimmt den weiteren Verlauf, das weitere Verstehen der Geschichte. Und außerdem will man doch wissen, was die beiden nun austauschen? Du Arsch, Thomas Mann! Ich saß gestern im Bus, verfolgte ganz gespannt den Beginn der karnevalistischen Anfänge, das überraschende Duzen gegenüber Setembrini, das blinde Schweinezeichnen und die Annäherung an den nackten Arm, um dann verblüfft Seitenweise weiter zu scrollen, immer mit halben Auge das Französisch nach was Bekanntem absuchend. Verdammt. Ich war stinkig und baff zugleich.
Schnell hatte ich den Gedanken, ChatGPT mit folgendem Prompt zu bitten: „übersetzung der französischen unterhaltung zwischen hans castorp und clawdia chauchat bei dem Karnevalsfest“. Nachdem ich eine Nacht drüber geschlafen habe, stellte ich sachlich fest:Vielleicht gibt es noch andere Auflagen des Romans, die an dieser Stelle überarbeitet wurden? Und zum übersetzen braucht man ja gar keine KI, das sollte auch mit einer Suchmaschine funktionieren. Sicherlich hatten auch andere diese Hürde bzw. Herausforderung? Klar! Ich nahm meinen Prompt und warf ihn bei Startpage ein; tataaa:

Sobald ich Zeit habe, werde ich mal vorsichtig hier und da klicken und hoffentlich eine Übersetzung finden, die nicht einfach alles verrät sondern mit der ich die Situation noch mal erleben kann, nur eben auf deutsch. Mit sowas hat der gute alte Thomas vermutlich nicht gerechnet 😉

Nachtrag:
Hier war man so nett. War gar nicht so spannend… und um daraus eine „indirekt beschriebene Liebesnacht“ zu erkennen, gehört schon viel, äh, Literaturhingabe dazu. Oder wie irgend jemand vor langer Zeit im Internet schrieb: „Die sprachlich entrückte Fremdheit
des Dialogs gehört durchaus zur ästhetischen Strategie des Textes.“ Mag wohl stimmen.

Nochn Nachtrag:
Etwas später im Text erfährt man dann, dass Hans Castorp ihr den Bleistift noch zurück gebracht hat und es gibt klare Andeutungen….

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