Hallo, ich bin der Alex. Ich habe jahrelang ein eigenes Blog betrieben und hab damit aus Gründen aufgehört. Holger hat mir dann Account-Daten für seinen Blog geschickt. Er glaubte, dass ich das Bedürfnis haben könnte, etwas zu schreiben, und er sollte recht behalten.
Tatsächlich beschäftigt mich seit einigen Tagen das Thema „Gesellschaft“. Ich schau ja gerne Reality-TV-Formate wie Big Brother. Auf Sat1 läuft seit einigen Monaten das Format Newtopia. 15 Personen sperren sich auf einem 2 ha großen Gelände in Brandenburg ein und wollen eine neue Gesellschaft gründen. Über das Format möchte ich nur soviel sagen, dass es nur ein Big Brother mit weniger Regeln ist. Der Wunsch nach einer neuen Gesellschaft wird zwar immer wieder heruntergebetet, aber die Bewohner Pioniere sind damit beschäftigt, Geld zu verdienen. Für Ideale ist da keine Zeit.
Immerhin hat mich das Format dazu gebracht, mir Gedanken darüber zu machen, wie eine neue und natürlich bessere Gesellschaft aussehen könnte oder müsste.
Zu erst ist mir aufgefallen, dass es gar nicht so leicht ist, was anders zu machen. Warum? Weil es den allermeisten von uns zu gut geht. Natürlich schimpfen alle. Zu wenig Geld, die Gesundheitsversorgung ist zu schlecht, alle Kassen sind leer und alles ist Ungerecht verteilt. Aber gemessen an dem Deutschen, der 1915 lebte, geht es uns ziemlich gut. Die großen gesellschaftlichen Fragen sind geklärt. Die Gleichheit aller Menschen ist im Grundgesetz verankert und wird zum großen Teil auch gelebt. Natürlich gibt es immer Ausnahmen. Ein paar Rechtsradikale hier, ein paar Wirtschaftsbosse da. Aber in der Mitte sind wir alles relativ tolerante Bürger, die keine Schwulen oder Lesben verprügeln, die keine Juden vergasen oder Türken aus dem Land schmeißen wollen. Den meisten von uns ist sogar Religion vollkommen egal. Unsere Gesellschaft wird auch nicht von einem Diktator oder Monarchen beherrscht. Wir können wählen, wer unsere Meinung und Interessen im Land vertritt. Und auch wenn das ziemlich Abstrakt ist, muss keiner von uns ins den Schuldenturm, wenn er nicht mehr zahlen kann. Keiner muss verhungern oder an der Pest sterben.
Wir leben also schon in der perfekten Gesellschaft. Oder etwa nicht?
Ganz sicher nicht. Denn jede Entscheidung, welche in diesem Land getroffen wird, erfolgt auf der Grundlage des persönlichen Vorteils.
Ich wähle die Partei, die in meinem Bundesland genau das Schulsystem einführen möchte, welches ich für mein Kind am besten finde. Ich engagiere mich auf der Arbeit bei den Themen, die mir helfen, meinen Arbeitsalltag besonders einfach zu machen. Werden meine Themen nicht berücksichtigt oder umgesetzt, dann bin ich besonders betroffen, ohne mir Gedanken darüber zu machen, warum etwas so geworden ist. Ich blogge und will gleichzeitig auch sehen, dass ich gelesen werde. Ich will ja belohnt werden für meine Mühen. Ich kaufe meinem Kind ein neues Fahrrad, weil ich will, dass er mich als tollen Vater wahrnimmt.
Der Geschäftsführer eines Mittelständischen Unternehmens vertritt die Interessen der Gesellschafter. Alle seine Entscheidungen beruhen darauf, genug Umsatz zu machen damit er die knappen Gehälter zahlen, die Schulden tilgen und Gewinne für die Gesellschafter einfahren kann. Um auch langfristig Umsatz machen zu können, müssen eventuelle Mitbewerber ausgeschaltet oder unterboten werden. Seine Entscheidungen beruhen nur auf dem Unternehmensgewinn und der Verantwortung gegenüber den Gesellschaftern. Ist er beides in einer Person, dann will er Erfolgreich sein. Er will nicht den Status Quo beibehalten sondern wachsen. Hat er so ja auch gelernt im BWL-Studium. Wer erfolgreich sein will muss investieren. Geht das das Investment in die Hose, müssen die Mitarbeiter das ausbaden. Es gibt nicht mehr oder vll sogar weniger Geld. Personalkosten sind schließlich in allen Unternehmen die höchsten Posten auf der monatlichen Rechnung. Da kann man also am meisten sparen.
Der Mitarbeiter ist aber auch nicht besser. Im Außendienst ist er besonders freundlich zu den Kunden, die Trinkgeld geben. Die Kunden, die sich das Produkt gerade so leisten können und deshalb nicht mehr geben können, werden auch nur so ’naja‘ behandelt. Auch für den Chef tut er nur soviel, wie er es bei seinem Gehalt für angemessen hält: Nicht einen Handschlag mehr. Und wenn er mehr Gehalt haben möchte, dann nicht für seine guten Leistungen sondern weil er ein Haus und ein Auto zu bezahlen hat, und die Frau möchte das Wohnzimmer renovieren. Und wenn ich dann mehr Geld bekomme, dann leiste ich natürlich auch mehr. Versprochen!
Aber an allem sind natürlich nur die Politiker, die Lobbyisten und die Großkonzerne schuld. Das möchte ich an dieser Stelle dann schon gar nicht mehr ausführen. Ich glaub es ist klar geworden, worauf ich hinaus will.
Jeder, wirklich jeder, trifft seine Entscheidungen in einem von Ihm festgesteckten Rahmen. Innerhalb diesen Rahmens bewegt er sich. Dieser Rahmen besteht aus den Elementen Aufwand, Nutzen und Risiko. Aufwand und Risiko müssen dabei möglichst gering sein und der Nutzen darf immer groß sein. Kein Problem.
Also zur Kernfrage zurück:
Wie sieht die perfekte Gesellschaft aus?
In der perfekten Gesellschaft wird der Entscheidungsrahmen um einen Punkt erweitert. Nämlich: Die Anderen. Wenn sich jeder bei seiner Entscheidung nicht nur fragt: Was hab ich davon., sondern auch: Wie hoch ist das Risiko für andere Menschen, Flora und Fauna? Wo ist der Nutzen für andere und ist der Aufwand für das Ergebnis für alle Beteiligten gerechtfertigt?, dann sind wir in der perfekten Gesellschaft angekommen.
Der Witz an dem Ganzen ist: Wenn wir so denken würden, würde es uns allen besser gehen. Es würde keine Kriminellen mehr geben. Keiner würde jemanden bestehlen wenn er darüber nachdenken würde, welchen Verlust der Bestohlene erleidet. Es gäbe keine Drogenabhängigen. Drogen nimmt man, um sich von der schlechten Welt abzulenken und seine Problem beiseite zu schieben. In der idealen Gesellschaft gibt es keine schlechte Welt und Probleme werden nicht beiseite geschoben. Das wäre ja auch extrem egoistisch. Und das ist so gar nicht die perfekte Gesellschaft.
Es gäbe vermutlich auch keine Börse und keine großen Aktienunternehmen. Es gäbe aber auch keine Superreichen sondern sehr viele, denen es gut geht und einige, denen es noch besser geht. Damit kann man aber leben und Leistung muss belohnt werden. Man müsste nicht über Inklusion reden. Man würde es einfach machen. Den natürlich geht es einem Menschen besser, wenn er in der Gesellschaft vieler anderer, möglichst vielschichtigen Menschen wäre. Und wenn das eigene Kind dadurch vielleicht etwas weniger Aufmerksamkeit von der Lehrerin bekommt, ist das okay.
Und die armen Afrikaner, die über das Mittelmeer in die perfekte Gesellschaft wollen, die dürfen kommen. Regelmäßig nimmt ein Schiff der Aida-Flotte die Flüchtlinge mit rüber. Kein Problem. Platz ist in der kleinsten Hütte. Und, Freunde: Es würde uns noch immer gut gehen. Versprochen.
Natürlich würden Entscheidungsprozesse viel länger dauern. Keine Frage. Aber das ist wirklich kein Nachteil. Wir können uns das leisten. Wirklich.
Die Gedankengänge sind zwar etwas, äh, reduziert, aber ich glaube, Karl Marx wäre erfreut über deinen Artikel 😉
Hi,
ich finde deine Gedanken zum Thema Gesellschaft gut und wichtig.
Möchte erwähnen, dass man einfach mal Dinge machen kann ohne selber einen Nutzen daraus zu ziehen (außer der Erkenntnis, dass man z.B. jemandem gerade eine Freude gemacht hat).
Das fängt in der eigenen Familie an (da macht man das für seine Kinder häufig selbstverständlich) geht über den Straßenverkehr (einfach mal einen aus der Nebenstraße vor lassen) bis ins Berufsleben.
Wenn man den Leitsatz: „Jeden Tag eine gute Tat“ auf jeden Deutschen (oder sogar Europäer) anwendet, wäre unsere Gesellschaft ruckzuck l(i)ebenswerter und es tut keinem weh!
Zugegeben, ich muss das auch noch üben…
LG Hasi
@Holger: Ich wollte mal eben deine Aussage verifizieren. Der Stoff scheint aber nicht ganz trivial zu sein. So sehr ich mich auch bemühe, den Wikipedia Artikel zum Marxismus kann ich nicht lesen. Unter http://www.cpw-online.de/kids/karl_marx.htm gibt es einen Ansatz zum verstehen, aber vermutlich auch zur kurz gefasst.
Und ja, das ich mich in der Linken Ecke wohler fühle, wissen wir ja beide ;O)
Die Idee meiner Gesellschaft kann aber nur funktionieren wenn sie sich aus dem Volke heraus entwickelt. Wenn Menschen zur Änderung bereit sind und es einfach machen. Wenn diese Menschen merken das es gar nicht schlimm ist nicht nur an sich zu denken und es eben keinen Nachteil gibt.
Ich bin wohl eher Anarchist als Kommunist, den in meiner Gesellschaft gibt es auch keine Führungsstruckturen. Warum auch. Jeder macht nur das was für alle gut ist. Wenn der gesunde Menschenverstand Grundlage von allem ist, braucht es keinen Zwang, keine Gesetze und keine Politik.
Aber am Gesunden Menschenverstand wird es eben am Ende auch scheitern.
@Hasi: Stimmt … der Leitsatz meiner Gesellschaft könnte sein: Jede Tat ist eine gute Tat 😉
Interessanterweise kommt Thor Heyerdahl am Ende seines Buches „Fatu Hiva“ auch noch mal auf das Thema „Menschen und ihre Gesellschaft“. Du solltest den Abschnitt auch mal lesen, Hasi eher den Anfang von dem Buch 😉 (aber aus anderen Gründen)
Und ja, das ist nicht trivial sondern sehr komplex.
Der Mensch ist ein Herdentier und solange ein Männchen versucht, dem anderen die Eier abzubeissen wird sich auch nichts ändern.